Kasëm Trebeshina und der sozialistische (Sur)Realismus

Dijon Ismaili (M.A. Albanologie)

Buchcover „Der Esel auf dem Mars“ von Kasëm Trebeshina, Bildquelle: Dijon Ismaili

Kasëm Trebeshina war ein albanischer Autor, Dissident und politischer Gegner von Enver Hoxha. Trotz seines eigenen kommunistischen Hintergrundes hatte er ein Problem mit der nationalen Zensurpolitik unter dem kommunistischen Regime und schrieb ein Memorandum an Hoxha, für das er verhaftet und psychiatrisch untersucht wurde. Bis zum Fall der Diktatur im Jahr 1991 verbrachte er insgesamt 17 Jahre in Haft. In dieser Zeit arbeitete er heimlich an seiner Bibliografie weiter und schuf den Antiroman “Odin Mondvalsen”, in dem der Autor bewusst mit den Regeln des Sozialistischen Realismus bricht und seine Erfahrungen mit dem autokratischen System unter Hoxha verarbeitet, sowie die Absurdität der forensischen Psychiatrie während des albanischen Kommunismus zeigt. Dabei werden Parallelen zwischen der Biographie des Autors, Trebeshina und der Geschichte seines Protagonisten, Odin unverkennbar, wie z.B. die Tatsache, dass beide Persönlichkeiten ihren eigenen Freiheitsbegriff definieren, dessen Auslebung ihnen durch denselben Staatsapparat verwehrt bleibt.

Kasëm Trebeshina ishte shkrimtar shqiptar, disident dhe kundërshtar politik i Enver Hoxhës. Pavarësisht të shkuarës së tij komuniste atë e shqetësonte politika kombëtare e censurës, që buronte nga regjimi komunist. Kësisoj ai i shkroi Enver Hoxhës një memorandum, ku si pasojë u burgos dhe u dërgua në spital psikiatrik. Deri në rënien e diktaturës më 1991, ai kaloi 17 vite në burg. Gjatë kësaj kohe ai vazhdoi në fshehtësi të punojë për bibliografinë e tij dhe krijoi antiromanin ``Odin Mondvalsen``. Në këtë roman Trebeshina thyen me vetëdije rregullat e realizmit socialist dhe shpalos përvojat e tij lidhur me sistemin autokratik të Hoxhës, si dhe rrëfen për absurditetin e psikiatrisë ligjore gjatë komunizmit. Paralelet mes biografisë së Trebeshinës dhe historisë së protagonistit të tij Odin Mondvalsen, bëhen të pagabueshme, si për shembull fakti që të dy personalitetet përcaktojnë konceptin e tyre për lirinë, realizimin e së cilës ua mohon i njëjti aparat shtetëror.

Der Roman „Odin Mondvalsen“ wurde zwar erst 1992 veröffentlicht, das Manuskript wurde aber bereits 1955-1956, der ersten Gefängnisaufenthalte von Kasëm Trebeshina in Tirana verfasst. Heute wird es als das erste Werk des Surrealismus im Albanischsprachigen gesehen und gilt auch als erstes Beispiel eines „Antiroman“, einer literarischen Gattung, die bewusst gegen die traditionellen Erzählstrukturen und -konventionen des klassischen Romans verstößt und stattdessen alternative Formen der Erzählung und Darstellung verwendet.
Dem Leser des Werks wird schnell klar, dass die Geschichte stark biographisch angehaucht ist, und somit auch mit den Regeln und Normen des sogenannten Sozialistischen Realismus bricht, dessen Eigenschaften vor allem ein gutes und fortschrittliches Bild des sozialistischen Systems zeichnen sollen. Trebeshina prangert in seinem Werk aber die Methoden des autoritären Regimes, welches den Sozialismus innehat, an, und parodiert dieses sogar.

In der sogenannten „opera aperta“, einem Begriff, der von Umberto Eco geprägt wurde, und der besagt, dass das Kunstwerk verschieden und insbesondere offen lesbar ist, wendet Trebeshina durch seine kryptische Erzählweise eine Verschleierungsmethode an. Diese lässt den Leser eine andere Interpretation vom Werk erfahren, als der Autor sie womöglich zum Ziel hatte. Eine sinnvolle Inhaltswiedergabe des Romans gestaltet sich auch genau aus diesem Grund schwierig, deshalb sollen nur die wesentlichen Elemente verkürzt dargestellt werden.
Zuallererst wird die Geschichte des titelgebenden Hauptcharakters Odin Mondvalsen nicht in einem chronologischen Handlungsstrang erzählt, zumindest nicht in einem dem Leser ersichtlichen. Auch sind die Schlüsselereignisse im Werk mehrdeutig interpretierbar und jede einzelne Interpretation könnte eine andere Interpretation des nächsten Kapitels oderSchlüsselereignisses bedeuten. Zudem haben die meisten Charaktere im Buch keinen richtigen Namen, und werden vom wirr-redenden Protagonisten, dessen eigener, korrekter Name dem Leser ebenfalls nicht bekannt ist, auf evaluative und schrille Art und Weise benannt. Dazu kommt, dass in regelmäßigen Abständen metaphorische, beziehungsweise kryptische Geschichten, die von (Neben-)Charakteren erzählt werden, die Erzählung unterbrechen und den Leser aus der Bahn werfen sollen. Zudem besteht die Erzählperspektive aus Odin Mondvalsens eigener Sicht, der somit in der Ich-Perspektive erzählt.

Im ersten Kapitel der Geschichte wird der Protagonist Odin von Regierungsbeamten in Zusammenhang mit einem Verbrechen verhört, dessen Art nicht bekannt gegeben wird. Odin gibt eine bizarre Aussage ab, in der er behauptet, vom Mond zu kommen, und sich als Däne identifiziert, der keine albanischen Wurzeln hat. Daraufhin wird er in eine forensische Psychiatrie überstellt, wo er seinen Zimmergenossen und die Krankenschwester Xjevrije kennenlernt. Er und Xjevrije beginnen eine Affäre und verlieben sich schnell ineinander. Odin wird regelmäßig von einem regimetreuen, dem „schlechten“ Arzt, und zwei Beamten des Ministeriums befragt. Zusammen mit einem den Patienten allgemein wohlgesonnenen, „guten“ Arzt, schmieden Xjevrije und Odin einen Plan zur Entlassung aus der Klinik, in dem Odin seine Identität als Albaner nicht mehr abstreitet, sondern endgültig akzeptiert. Nach seiner Entlassung zieht Odin zu Xjevrije, wird aber nach ihrer Ermordung als Verdächtiger verhaftet und wieder inhaftiert.

Da sich das Buch als opera aperta versteht, soll beim Interpretieren von Trebeshinas Antiroman von den Freiheiten, die diese Kunstform bietet, Gebrauch gemacht werden.

Ich vermute starke biographische Einflüsse im Setting des Romans. Der Autor sagte in einem Interview mit Edmond Çali, einem albanisch­-italienischen Sprachwissenschaftler 2005:
„Ich wurde in die Psychiatrie gebracht und für verrückt erklärt … Das hat mich später und dann später wieder und noch später beeinflusst. Ich habe meine eigenen Krankenhauserfahrungen. Ich kenne Krankenhäuser, Krankenberichte, Krankenblätter, ich kenne alles. Ich habe viele Geschichten. Ich habe sie nach den 1950er Jahren sehr gut gekannt.

Kasëm Trebeshina, Bildquelle: Dijon Ismaili

Genauso wie Trebeshina hat auch Odin Mondvalsen (vermutlich) mehrere Psychiatrieaufenthalte hinter und womöglich noch vor sich. Trebeshina verarbeitet in seinem Roman seine Erfahrungen und Traumata mit einem Charakter, der so absurd und ungreifbar spricht und handelt, wie Trebeshina es wohl nie hätte tun können. Ist man mit der Biografie des Autors vertraut und liest sein Werk, so scheint es, als hätte der Autor den ganzen Wahnsinn, den er erlebt hat, in seinen Roman integriert und zu dessen Grundlage gemacht.

Odin sagt im Verhörraum im ersten Kapitel aus, dass er vom Mond käme. Doch wofür steht der Mond? Auch hier soll wieder ein autobiographischer Interpretationsversuch gemacht werden. Der Mond als letzter bekannter Stopp Odins könnte für Russland stehen, wo Kasëm Trebeshina vor seiner Verhaftung studiert und gelebt hat. Vyacheslav Molotov, Stalins zweite Hand, stellte sich nach einer rebellischen Phase Trebeshinas während seines Aufenthaltes in Leningrad und der Bitte der Partei in Albanien nach Aufklärung jener Sache hinter ihn, und gab ihm eine gefälschte Diagnose, sodass er dem Arbeitslager entgehen würde. Diese Doppeldiagnose lautete Paranoia und Psychopathie. Er war somit unzurechnungsfähig und nicht schuldfähig. Er musste aber 1953 nach seiner erneuten Verhaftung in Albanien aufgrund eines kritischen Briefes an Enver Hoxha, in dem er die geltende Zensurpolitik anprangerte, vor einer psychiatrischen Kommission vorsprechen, womit sein langer Leidensweg der Inhaftierungen begann. Jedoch war es dieser – in Relation zu seinem Leben – kurzer Aufenthalt in Leningrad, der ihm das Bild von Erlösung im Ausland gab, eine für albanische Autoren gängige Empfindung. Da Trebeshina diese Möglichkeit aber nicht wahrgenommen hat, und dies nach 1953 aufgrund seines Status als Dissident kaum noch tun konnte, musste er in Albanien verweilen. So findet auch sein Romancharakter  Odin Mondvalsen die Möglichkeit, vor der Realität des albanischen Autoritarismus zu fliehen, indem er behauptet, vom Mond zu kommen und nun an einem noch weniger lebenswerten Ort, dem Mars, also womöglich dem kommunistischen Albanien angelangt zu sein. Indem er seine albanische Herkunft verleugnet und eine komplett wildfremde, die des Dänen, erfindet, flieht er sozusagen vor dem Albanisch-sein: Er entzieht sich der Zugehörigkeit eines Staates, der ihn bisher nur verletzt und verfolgt hat. Der Roman und die gleichnamige Figur „Odin Mondvalsen“ können also als Mittel Trebeshinas interpretiert werden, seine Erfahrungen mit der albanisch-autoritären Bürokratie und dem Leben in forensischen Psychiatrien zu verarbeiten und in seiner subjektiven Wahrnehmung zu kommentieren. Es ist somit klar, dass Parallelen zwischen Mondvalsen und Trebeshina existieren: Der Autor bricht mit dem Sozialistischen Realismus, und folgt dem Schema des surrealen Absurdismus. So wie Odin nicht die Regeln des Gefängnisses, einer totalen Institution samt Überwachung, Kontrolle und geregelten Abläufen befolgt, so befolgt Trebeshina nicht die Regeln des Schreibens in einem totalitären Staat, in dem Schreiben ebenso strenge Vorgaben und Grenzen hat (das Gefängnis gilt als Synekdoche für alles Totalitäre). Wie schon zu Beginn beschrieben, versteht sich der Roman als opera aperta, er beginnt offen, endet ebenso offen und soll offen interpretiert werden. So lese ich unter anderem auch heraus, dass Odin und Trebeshina auch der Wunsch nach Freiheit verbindet: die Freiheit, nach den eigenen Vorstellungen zu leben, und die Freiheit nach eigenen Vorstellungen zu schreiben.

Außerdem ist bemerkenswert, dass Odins Verrücktheit, beziehungsweise seine Ambiguität ihn zu einem Doppelcharakter macht: Mal verfügt er über gesunde Logik und formuliert verständliche, kritische Sätze und mal rutscht er in den Wahnsinn ab, der die normale Ordnung der Dinge stört. So kann diese spezielle Geschichte einerseits in einem ebenso speziellen Stil erzählt werden, andererseits wird umso mehr das Absurde zum Vorschein gebracht: die Sprache des Charakters und damit auch die Erzählung wird beeinflusst, Odins neurotischer Zustand erfüllt das thematische und künstlerische Ziel des Autors, das ganze System als das darzustellen, was es für ihn ist: Ein absurder Apparat, in dem es schnell passieren kann, verrückt zu werden, oder zumindest für verrückt erklärt zu werden.

Further Literature:

  • Çali, Edmond (2006): Intervistë me Kasem Trebeshinën. Rome: Aracne.
  • Domi, Ornela (2014): An Effort for a Psychic Reading of Absurd. In: Anglisticum. Journal of the Association-Institute for English Language and American Studies Vol 3, No 8, Tetovo.
  • Elsie, Robert (2010): Historical Dictionary of Albania. Boston: Scarecrow Press
  • Segel, Harold B. (2012): The Walls Behind the Curtain: East European Prison Literature,1945-1990. Pittsburgh: University of Pittsburgh Press.
  • Trebeshina, Kasëm (1994): Der Esel auf dem Mars: Eine Liebesgeschichte. Klagenfurt:Wieser Verlag.
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