„Eine SMS und weg war ich!“

Migrationsnetzwerke unter rumänischen Bauarbeitern in der Oberpfalz

Thomas Meyer (M.A. Ost-West-Studien)

Erstellt von: Thomas Meyer

Zwischen 2018 und 2020 wurde eine Gruppe von sechs rumänischen Bauarbeitern aus der Region Botoșani, sowie ihre Angehörigen, im Rahmen einer Masterarbeit über mehrere Monate bei ihrem Versuch in der hiesigen Baubranche Fuß zu fassen, begleitet. Die Forschung fand im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung statt. Neben dem Studium arbeitete ich in einer Zimmerei, bei der die rumänischen Kollegen als Subunternehmer tätig waren. Bei einem achtstündigen Arbeitstag konnte somit immer mehr über die Gruppe in Erfahrung gebracht werden. Dabei wurde untersucht, wie die Migration rumänischer Arbeitnehmer im sogenannten Sektor der Niedrigqualifizierten konkret erfolgt, welche Motive sie zur Emigration bewegte, welche Netzwerke sie nutzen, sowie ihre Wünsche und Pläne für die Zukunft erfragt. Es offenbarte sich, dass sich die Forschungsteilnehmer bei ihrer Migration auf ein Migrantennetzwerk, bestehend aus sogenannten Pioniermigranten, Rumänisch stämmigen Personen, die sich bereits in Deutschland etablieren konnten, stützten. Weiterhin wird ersichtlich, dass es sich bei dem Entschluss eine Erwerbstätigkeit im Ausland aufzunehmen, nicht um einen langfristig geplanten Prozess handelt, sondern diese vielmehr eine impulsartige bzw. opportunistische Entscheidung darstellt, bei welcher der Zugriff auf das soziale Netzwerk aus Landsleuten von enormer Bedeutung ist bzw. die Migration erst ermöglicht.

Între 2018 și 2020, am însoțit, timp de mai multe luni, un grup de șase muncitori români (și rudele acestora) din domeniul construcțiilor, originari din regiunea Botoșani, muncitori care încercau să își găsească un loc de muncă în industria locală germană a construcțiilor. Cercetarea s-a desfășurat în cadrul observației participante și s-a finalizat într-o teză de masterat. Pe lângă studiile mele, am lucrat într-un atelier de tâmplărie unde colegii români erau subcontractori. În timpul unei zile de lucru de opt ore, a fost posibil să îmi diversific și să îmi îmbogățesc informațiile despre grup. Astfel, am ajuns să investighez și să reconstitui modul concret în care are loc migrația lucrătorilor români, din așa-numitul sector cu calificare redusă, ce motive i-au determinat să emigreze, ce rețele folosesc, dar mai ales să pot formula întrebări privitoare la așteptările, dorințele și planurile de viitor ale acestora. A devenit evident că participanții la cercetare s-au bazat pe o rețea care facilitează atât migrația lor, cât și si accesarea ofertelor de pe piața muncii din Germania. Aceasta rețea este formată cu precădere din așa-numiții emigranți pionieri, persoane de origine română care au reușit deja să se stabilească aici. În plus, devine evident că decizia de a ocupa un loc de muncă remunerat în străinătate nu este un proces planificat pe termen lung, ci mai degrabă o decizie impulsivă sau oportunistă în care accesul la rețeaua socială a compatrioților are o importanță enormă și face posibilă migrația, în primul rând.

„Vlad hat mir geschrieben, ob ich nach Deutschland kommen will, er hat einen Platz für mich in diesem schönen Haus und es gibt auch viel Arbeit. So war das. Eine SMS und weg war ich! Ohne Vlad wäre ich noch in Botoșani.“  – Sorin, 42

Man müsste meinen, dass auf Grund der natürlichen Risikoscheu des Menschen eine solche lebensverändernde Entscheidung wie eine Migration wohl überlegt sein sollte, doch die Antwort eines rumänischen Bauarbeiters verdeutlicht, wie spontan und impulsartig sie in manchen Fällen sein kann. Sorin, einer der Studienteilnehmer, der wie seine Kollegen aus dem gleichen Dorf in Botoșani, einer der strukturschwächsten Regionen im Osten Rumäniens stammt, folgte der Einladung seines ehemaligen Nachbars Vlad, mit ihm in Deutschland zu arbeiten und zu leben. Diese spontane Art von Migration wurde im Rahmen der Studie immer wieder offenbart und zeigte sich als typisch für Personen, die in einem Sektor wie der Baubranche agierten. Während beispielsweise ein Arzt aus Bukarest, der in einem deutschen Krankenhaus nach Arbeit sucht, einen gängigen Bewerbungsprozess durchlaufen würde, bietet die Baubranche hier mehr Flexibilität, zumal häufig auch informell agiert wird.

Ähnlich wie im Falle Sorins, kamen auch die anderen Beteiligten über bereits in Deutschland etablierte Migranten in die Bundesrepublik. Wer bereits vor der Abreise weiß, dass er im Zielland einen Arbeitsplatz sowie ein Dach über dem Kopf sicher hat, der wagt den Schritt der Auswanderung eher als jemand, der einen solchen Prozess detailliert planen muss bzw. sich in Unsicherheit wiegt, wenn derartig grundlegende logistische Rahmenbedingungen nicht erfüllt sind.

Insgesamt sind es sechs Männer im Alter zwischen 20 und 49 Jahren, sowie zwei Ehefrauen und ein Kleinkind, welche das Haus eines oberpfälzischen Zimmerermeisters mieteten, an dessen Restaurierung sie zuvor mitwirkten. Die angemietete Immobilie verfügt über drei Zimmer und eine Wohnküche. Bei einem neunköpfigen Haushalt braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Bewohnenden Abstriche in ihrer Privatsphäre auf sich nehmen müssen.

Das restaurierte Haus vor den Renovierungsarbeiten. Bildquelle: Thomas Meyer
Das restaurierte Haus nach den Renovierungsarbeiten. Bildquelle: Thomas Meyer

Allerdings bietet diese Art von Wohnarrangement auch gewisse Vorteile. Die Rumänen, die allesamt als Selbstständige oder als GBR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) agieren, können durch die Wohnsituation definitiv Kosten einsparen. Da nicht immer gewiss ist, ob es jeden Tag Arbeit für die Gruppe gibt, fällt es hier wesentlich leichter die monatlichen Mietkosten von 650€, sowie 300€ an Nebenkosten aufzubringen. Das Netzwerk unterstützt sich also wechselseitig und reduziert etwaige finanzielle Risiken. Im Vergleich zur vorherigen Unterkunft in einer Wohneinrichtung in einer Metropolregion gaben alle Studienteilnehmer eine wesentliche Verbesserung an.

Allerdings bleibt es nicht bei einer reinen Zweckgemeinschaft, die Gruppe verbringt auch neben der Arbeit ihre Freizeit miteinander. Dies zeigt sich vor allem beim täglichen Abendessen, wobei hier deutlich Wert auf rumänische Kulturpflege gelegt wird. So wurden an den Sommerabenden fast täglich aus Rumänien importiere Mici-Würste in geselliger Runde gegrillt. Zudem delegiert die Gruppe Aufgaben wie Einkäufe oder andere Erledigungen untereinander. Da die meisten Studienteilnehmer von ihrer Kernfamilie getrennt leben, bietet die Hausgemeinschaft auch Rückhalt und eine familiäre Atmosphäre, wie Cosmin, der jüngste Interviewpartner verdeutlicht, der zuvor mit deutschen Kollegen in Hanau arbeitete:

„Hier ist nicht so schlimm mit die Heimweh, hier kannst du Rumänisch rede. […]. In Hanau war schon schlimm, alleine. Wir kennen uns schon lang, […] des ist wie eine kleine Familie“

Wie auf der Zeichnung des Grundrisses visualisiert, wohnen die Menschen auf engstem Raum zusammen. Erstellt von: Thomas Meyer.

Allerdings hemmt das Netzwerk auch die Integration, was vor allem beim Erlernen der deutschen Sprache ins Gewicht fällt. Die Rumänen sprechen bis auf ein Mitglied aus der Gruppe, welches bereits seit sieben Jahren in Deutschland lebt, nur wenig Deutsch. Es war auffällig, dass sich die anderen Studienteilnehmer hier vorzugsweise auf die Hilfe dieses Kollegen verließen.

Auch im Hinblick auf die teilweise schwierigen administrativen Hürden im deutschen Baugewerbe, verlässt sich die Gruppe auf die Frau eines befreundeten rumänischen Kollegen, die bereits mit den hiesigen Gesetzten vertraut ist. Laut ihrer Aussage hemmt diese Abhängigkeit und das geringe Maß an Selbstwirksamkeitsempfinden definitiv die Integration und erschwert somit langfristig den Aufenthalt in einem fremden Land. Dies zeigte sich auch bei den Studienteilnehmern, die teilweise mit hohen Nachzahlungsgebühren hinsichtlich der deutschen Pflichtversicherung für Selbstständige zu kämpfen hatten.

Wie sich in der Feldforschung zeigte, hat das Geldverdienen einen hohen Stellenwert bei den Arbeitsmigranten aus Rumänen. Während die deutsche Belegschaft sichtlich erleichtert war, wenn an einem Freitag nur halbtags gearbeitet wurde, arbeiten die Rumänen auch samstags. Überhaupt hat Arbeit im Hinblick auf die erwirtschafteten finanziellen Ressourcen den größten Stellenwert im Leben der Forschungsteilnehmer.

Dieser subjektive Mehrwert der eigenen Arbeitszeit hängt diesbezüglich auch mit den langfristigen Zielen der Befragten zusammen. So wird ein signifikanter Teil des Geldes an direkte Familienmitglieder in Rumänien gesendet. Dabei wurde von denjenigen Studienteilnehmern, die bereits Kinder hatten, der Wunsch geäußert, diesen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Hinsichtlich der in Rumänien lebenden Kinder wird im wissenschaftlichen Diskurs auch von Eurowaisen gesprochen, also Kindern, deren Eltern in Westeuropa arbeiten und somit bei den Großeltern oder anderen Verwandten aufwachsen. Die oft monatelange Trennung von der eigenen Familie führt in vielen Fällen zu zerrütteten Familienverhältnissen, geschiedenen Ehen, entfremdeten Kindern, sowie gänzlich ausbleibenden Familiengründungen, wie sich auch bei den Interviewpartnern zeigte.

Zudem wurde der Erwerb bzw. Umbau einer Immobilie im Heimatland erwähnt. Dieser Wunsch stellt keinen Einzelfall dar, sondern ist vor allem für ältere Arbeitsmigranten ein deklariertes Ziel. Viele Häuser werden überproportional groß gebaut und stechen deutlich aus dem Ortsbild hervor. Der Traum dieser Menschen ist es, Wohnraum für mehrere Generationen zu schaffen. In der Realität verbleiben diese Gebäude aufgrund des mangelnden Kapitals oft über Jahre im Rohbauzustand. Für die teuren Baumaterialien, wie dreifachverglaste Fenster, muss über mehrere Jahre konstant im Ausland gearbeitet werden. In vielen Fällen erreicht die jüngste Generation bereits das Erwachsenenalter, bevor solche Häuser fertiggestellt und einzugsbereit sind.

Vor allem bei den jüngeren Studienteilnehmern zeigte sich häufig, dass keine konkreten Pläne für die Zukunft existierten. Die derzeitige Situation und die Arbeitsverhältnisse wurden als deutliche Verbesserung gegenüber der alten Heimat in Botoșani gewertet, wo der durchschnittliche Monatslohn in diesem Sektor bei knapp 350€ liegt. So antworte Cosmin auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen:

“Ich weiß nicht, ich hab keine Plan bis jetzt. Wie lang geht die Arbeit gut und so weiter, kann ich nicht sagen. Wann geht bis Ende, hat keine Ende, dann bleib ich hier. Wann hat Ende oder geht nicht mehr so gut, ich pack meine Kleider an und ‚next‘, weiter!”

Letztlich lässt sich die Feldforschung wie folgt zusammenfassen: rumänische Arbeitsmigranten agieren oft impulsartig und opportunistisch hinsichtlich ihrer Migrationsentscheidung. Sie verlassen sich dabei häufig auf ein Netzwerk aus Pioniermigranten, die ihnen dabei helfen in Deutschland Fuß zu fassen. Neben einer Unterkunft vermitteln sie auch Arbeit und geben Hilfestellung bei etwaigen administrativen Hürden. Zudem zeigen viele Arbeitsmigranten eine unrealistische Erwartungshaltung. Der Traum vom schnellen finanziellen Erfolg durch die Selbstständigkeit, wird in der Praxis meist von der hiesigen Rechtslage, dem komplexen Versicherungssystem und der hohen Steuerlast getrübt. Dennoch stellt die Migration eine deutliche Verbesserung zu der strukturell schwachen Herkunftsregion dar. Das Leben der rumänischen Arbeitsmigranten dreht sich zu einem Großteil um Arbeit und Geldverdienen, wobei sie einen signifikanten Anteil des Lohnes an Familienmitglieder in Rumänien senden.

Die untersuchte Gruppe stellt allerdings nur einen exemplarischen Fall dar, da mehrere Millionen Personen aus Osteuropa ihr Schicksal teilen. Letzten Endes scheint die Situation frustrierend und aussichtslos, wenn der Lebenssinn mehrerer Millionen Menschen darin besteht, die schlechte ökonomische Ausgangslage in der Heimat damit auszugleichen, ihre Familien zurückzulassen und die alte Heimat für den Großteil des Jahres aufzugeben, was letztlich zu instabilen Familienverhältnissen führt. Mittlerweile sind auf Grund des Fachkräftemangels ganze Wirtschaftssektoren in Deutschland von diesen Arbeitsmigranten , wobei insbesondere im Hoch- und Tiefbau heute knapp ein Drittel aller Beschäftigten aus dem Ausland stammen. Hinsichtlich der starken Abwanderung und der geringen Geburtenrate in Rumänien wird diese Problematik langfristig auch den rumänischen Arbeitsmarkt negativ beeinflussen. Hier zeigt sich ein dringlicher Handlungsbedarf bei allen beteiligten Ländern und ein globales Umdenken im Hinblick auf Arbeit zur Sicherung der eigenen Existenz. Hier kann man dem amerikanischen Philosophen Elbert Hubbard zustimmen, wenn er sagt:                          

 „We work to become, not to acquire.“ Elbert Hubbard

Weiterführende Literatur:

Bleabu, Ana (2004): Romanian migration to Spain. Motivation, networks and strategies, in: AMM (Hrsg.), New patterns of labour migration in Central and Eastern Europe. Cluj-Napoca. S. 20 – 35.

Anghel, Remus G. / Istvan Horvath (2009b): Migration and Its Consequences for Romania, in: Südosteuropa, o.A.: Jg. 57, Nr. 4, S. 386 – 403.

Călinescu, Petruţ / Ioana Hodoiu (2013): Mândrie şi beton / Pride and concrete. Igloo Media, Bukarest.

Potot, Swanie (2008): Romanian migration movements: Networks as informal transnational organisations, in: Bonifazi Corrado et. al., International Migration in Europe, New Trends and New Methods of Analysis, Amsterdam University Press, 2008, S. 87 – 106.

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