Als Spanien infolge der napoleonischen Invasion Anfang des 19. Jahrhunderts die Kontrolle über seine Kolonien verlor, nutzte der dort verwurzelte Teil der Kolonialelite die Gunst der Stunde, die aus Spanien entsandten Aufseher loszuwerden, und erklärte die Unabhängigkeit für das jeweils von ihnen beaufsichtigte Gebiet. So zerfiel das Spanische Kolonialreich entlang seiner Binnengrenzen; obwohl man sich dem Geist der Zeit entsprechend republikanische Verfassungen gab, blieb die Sozialpyramide weitgehend unangetastet. Das Problem der neuen Nationen waren weniger die äußeren Feinde – Grenzkriege mit den lateinamerikanischen Nachbarn waren vergleichsweise selten und ethnokulturelle Unterschiede konnten nur schwer zur Konstruktion von „Erbfeindschaften“ zwischen den neuen Staaten der Region herangezogen werden. Die wahre Hypothek war die innere Ungleichheit zwischen den Nachfahren europäischer Einwanderer einerseits, den indigenen und schwarzen Gemeinschaften andererseits, sowie den Mestizos („Mischlinge“), die ethnisch wie sozial eine Art Übergang zwischen oben und unten bildeten. Was Lateinamerika traditionell unter rechts und links versteht, bildete sich vor diesem Hintergrund heraus: Rechts ist, wer die Privilegien der Oberschicht für gerechtfertigt hält; links, wer Gleichheit einfordert, sei es auf radikalem revolutionärem Weg oder durch reformistische Umverteilung.
In (Süd)Osteuropa dagegen herrschten die Landimperien. Ihre Expansion war oft weniger von wirtschaftlichen als von militärischen Logiken getrieben, so dass man bereitwillig in Gebiete vorstieß, für die man noch gar keinen wirtschaftlichen Plan hatte. Die Notwendigkeit, die eroberten Menschen zu bestimmten Tätigkeiten zu zwingen, sie gar zu versklaven, entfiel häufig. Die Landverbindung zwischen dem Zentrum und seinen kolonialen Peripherien ermöglichte breite Migrationsströme, die alle Schichten der kolonisierenden Gruppe umfasste, auch die einfache Bevölkerung. Der Gedanke, dass im Russischen Reich ein Russe sozial immer oben, ein Fremdstämmiger immer unten stehen müsse, war in diesem Kontext unplausibel; ähnlich war es im Osmanischen Reich und bei den Habsburgern. So standen an der Wolga russische neben tatarischen Dörfern, in der Vojvodina deutsche neben slowakischen, und in der Dobrudscha türkische neben bulgarischen.
Auch in den Landimperien gab es eine Sozialpyramide, allerdings war diese weniger ethnisiert, der Effekt unterschiedlicher Hautfarben war ebenfalls schwächer. Die Dekolonialisierung wurde hier nicht so sehr von ehemaligen Kolonialeliten betrieben, sondern von nationalen Bewegungen, welche auf sich auf einen ethnischen Kern beriefen. Das Bestreben der postkolonialen Nachfolgestaaten war auf ethnische Homogenität gerichtet. Weil auf engem Raum oft mehrere ethnische Nationsprojekte miteinander konkurrierten, folgten auf die Dekolonisierung Kriege, Vertreibungen und andere Formen der ethnischen Gewalt, welche das nationale Prinzip dann vollends in den Herzen und Köpfen verankerten.
Die Folge war, dass im östlichen Europa das ethnische Denken auch tief in das Rechts-Links-Schema einwanderte. „Rechte“ in Südosteuropa wollen die Ethnonation erhalten, sie gegen die ethnisch anderen Nachbarn, aber auch vor „ethnisch unpassender“ Migration schützen. Sie imaginieren die Nation als traditionelle Familie, was einen gewissen Grad an Ungleichheit (zwischen Männern und Frauen, Eltern und Kindern), aber auch an Intimität voraussetzt – wird die Pyramide allzu steil, ist man eben keine Familie mehr.