Was so einfach wie überzeugend scheint, ist folglich wesentlich komplizierter. Denn die Erforschung sozialer Medien birgt auch ethische und technische Schwierigkeiten. Ethisch steht die Forschung vor Herausforderungen gesetzlicher Bestimmungen. In der Europäischen Union bestimmt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), welche Daten wie und zu welchem Zweck verarbeitet werden dürfen.
Diese Verordnung unterscheidet zwischen personenbezogenen Daten (Art. 6) und besonderen Kategorien von personenbezogenen Daten (Art. 9). Personenbezogene Daten beziehen sich zum Beispiel auf die wirtschaftliche, kulturelle oder soziale Identität einer natürlichen Person. Dazu gehören Name, Alter, Adresse, Identifikationsnummer, Standortdaten oder Online-Kennungen wie eine IP-Adresse. Die Erhebung und Verarbeitung dieser Daten ist im Falle „berechtigter Interessen“ zulässig (Art. 6, Abs. 1f). Nach Art. 27 des deutschen Bundesdatenschutzgesetzes sind wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke berechtigte Interessen.
Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten wie „rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen“ ist verboten (Art. 9, Abs. 1). Es gibt jedoch drei Möglichkeiten, jeglicher Art von personenbezogenen Daten rechtmäßig zu verarbeiten.
- Einwilligungserklärung (Art. 13), die jedoch das Feld beeinflusst und z.B. in Südosteuropa in schriftlicher Form zu Skepsis bei den Informant:innen führen kann, die in der sozialistischen Vergangenheit negative Erfahrungen mit der Geheimpolizei gemacht haben.
- Pseudonymisierung (Art. 5 Abs. 5)
- Unumkehrbare Anonymisierung, die nicht in der DSGVO erwähnt ist, da die Daten dadurch keinen Personenbezug mehr haben.
Zusätzlich zu den gesetzlich geregelten Herausforderungen muss die Forschung abwägen, welche Informationen die Nutzer:innen öffentlich und welche sie nur privat teilen wollen. Soziale Medien sollten zwar als private Seiten betrachtet werden, wenn sie die eine Registrierung erfordern, die eine Zugangsbeschränkung darstellt. Einem Urteil eines US-Gerichts zufolge, das die Datenschutzbestimmungen von Facebook untersucht hat, sind jedoch die Erwartungen von Einzelpersonen, dass die von ihnen geteilten Informationen durch die Privatsphäre geschützt sind, unberechtigt. Online-Foren dagegen, in denen religiöse Themen diskutiert werden, werden eher als privat angesehen, vor allem wenn User:innen mit Pseudonymen registriert sind. Die Verwendung von Klarnamen, die auch religiöse Titel enthalten können, oder von Pseudonymen kann daher als Zeichen für das Bewusstsein der Akteur:innen angesehen werden, Informationen in einem öffentlichen oder privaten Raum zu teilen.
Die ethischen Fragen beeinflussen die technische Seite der Datenerhebung direkt. Die Anonymisierung stellt aufgrund des wissenschaftlichen Prinzips der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit eine technische Herausforderung für die Datenerhebung dar. Screenshots von Beiträgen sind kaum so weit zu anonymisieren, dass sie eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit ermöglichen und gleichzeitig Datenschutz garantieren. Eine weniger technische Alternative der Datensammlung bietet die Beobachtung von öffentlich erreichbaren Accounts, wobei paraphrasierende Notizen gemacht werden, ohne direkt zu zitieren. Dieser Ansatz ist vergleichbar mit traditioneller Feldforschung. Dadurch können Nutzer:innenrechte geschützt und ein hoher Grad der Anonymisierung garantiert werden. Allerdings bedarf dieses Vorgehen einer bewussten Reflexion, da dabei die Datensammlung hochgradig subjektiv verläuft.
Darüber hinaus zeigt das Beispiel von Twitter, dass auch ökonomische Faktoren die Wissenschaftslandschaft herausfordern können. Bis zur Übernahme von Elon Musk galt Twitter als die am einfachsten zu erforschende Plattform. Zu den kostenlosen Tools, für die keine Programmierskills benötigt wurden, gehörte zum Beispiel die Google Sheet-Vorlage TAGS, welche der Einstellung entsprechend automatisch Ergebnisse von Twitter sammelte. Weitere niederschwellige Tools zur Erhebung waren NETVIZZ und Twitter Archiver. Allerdings haben sich die Nutzungsbedingungen von Twitter (mittlerweile X) für Wissenschaftler:innen verschlechtert. Unter anderem wurden die freien Programmierschnittschtellen abgeschaltet, wodurch viele Apps nicht mehr funktionieren.