Allerdings hemmt das Netzwerk auch die Integration, was vor allem beim Erlernen der deutschen Sprache ins Gewicht fällt. Die Rumänen sprechen bis auf ein Mitglied aus der Gruppe, welches bereits seit sieben Jahren in Deutschland lebt, nur wenig Deutsch. Es war auffällig, dass sich die anderen Studienteilnehmer hier vorzugsweise auf die Hilfe dieses Kollegen verließen.
Auch im Hinblick auf die teilweise schwierigen administrativen Hürden im deutschen Baugewerbe, verlässt sich die Gruppe auf die Frau eines befreundeten rumänischen Kollegen, die bereits mit den hiesigen Gesetzten vertraut ist. Laut ihrer Aussage hemmt diese Abhängigkeit und das geringe Maß an Selbstwirksamkeitsempfinden definitiv die Integration und erschwert somit langfristig den Aufenthalt in einem fremden Land. Dies zeigte sich auch bei den Studienteilnehmern, die teilweise mit hohen Nachzahlungsgebühren hinsichtlich der deutschen Pflichtversicherung für Selbstständige zu kämpfen hatten.
Wie sich in der Feldforschung zeigte, hat das Geldverdienen einen hohen Stellenwert bei den Arbeitsmigranten aus Rumänen. Während die deutsche Belegschaft sichtlich erleichtert war, wenn an einem Freitag nur halbtags gearbeitet wurde, arbeiten die Rumänen auch samstags. Überhaupt hat Arbeit im Hinblick auf die erwirtschafteten finanziellen Ressourcen den größten Stellenwert im Leben der Forschungsteilnehmer.
Dieser subjektive Mehrwert der eigenen Arbeitszeit hängt diesbezüglich auch mit den langfristigen Zielen der Befragten zusammen. So wird ein signifikanter Teil des Geldes an direkte Familienmitglieder in Rumänien gesendet. Dabei wurde von denjenigen Studienteilnehmern, die bereits Kinder hatten, der Wunsch geäußert, diesen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Hinsichtlich der in Rumänien lebenden Kinder wird im wissenschaftlichen Diskurs auch von Eurowaisen gesprochen, also Kindern, deren Eltern in Westeuropa arbeiten und somit bei den Großeltern oder anderen Verwandten aufwachsen. Die oft monatelange Trennung von der eigenen Familie führt in vielen Fällen zu zerrütteten Familienverhältnissen, geschiedenen Ehen, entfremdeten Kindern, sowie gänzlich ausbleibenden Familiengründungen, wie sich auch bei den Interviewpartnern zeigte.
Zudem wurde der Erwerb bzw. Umbau einer Immobilie im Heimatland erwähnt. Dieser Wunsch stellt keinen Einzelfall dar, sondern ist vor allem für ältere Arbeitsmigranten ein deklariertes Ziel. Viele Häuser werden überproportional groß gebaut und stechen deutlich aus dem Ortsbild hervor. Der Traum dieser Menschen ist es, Wohnraum für mehrere Generationen zu schaffen. In der Realität verbleiben diese Gebäude aufgrund des mangelnden Kapitals oft über Jahre im Rohbauzustand. Für die teuren Baumaterialien, wie dreifachverglaste Fenster, muss über mehrere Jahre konstant im Ausland gearbeitet werden. In vielen Fällen erreicht die jüngste Generation bereits das Erwachsenenalter, bevor solche Häuser fertiggestellt und einzugsbereit sind.
Vor allem bei den jüngeren Studienteilnehmern zeigte sich häufig, dass keine konkreten Pläne für die Zukunft existierten. Die derzeitige Situation und die Arbeitsverhältnisse wurden als deutliche Verbesserung gegenüber der alten Heimat in Botoșani gewertet, wo der durchschnittliche Monatslohn in diesem Sektor bei knapp 350€ liegt. So antworte Cosmin auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen:
“Ich weiß nicht, ich hab keine Plan bis jetzt. Wie lang geht die Arbeit gut und so weiter, kann ich nicht sagen. Wann geht bis Ende, hat keine Ende, dann bleib ich hier. Wann hat Ende oder geht nicht mehr so gut, ich pack meine Kleider an und ‚next‘, weiter!”
Letztlich lässt sich die Feldforschung wie folgt zusammenfassen: rumänische Arbeitsmigranten agieren oft impulsartig und opportunistisch hinsichtlich ihrer Migrationsentscheidung. Sie verlassen sich dabei häufig auf ein Netzwerk aus Pioniermigranten, die ihnen dabei helfen in Deutschland Fuß zu fassen. Neben einer Unterkunft vermitteln sie auch Arbeit und geben Hilfestellung bei etwaigen administrativen Hürden. Zudem zeigen viele Arbeitsmigranten eine unrealistische Erwartungshaltung. Der Traum vom schnellen finanziellen Erfolg durch die Selbstständigkeit, wird in der Praxis meist von der hiesigen Rechtslage, dem komplexen Versicherungssystem und der hohen Steuerlast getrübt. Dennoch stellt die Migration eine deutliche Verbesserung zu der strukturell schwachen Herkunftsregion dar. Das Leben der rumänischen Arbeitsmigranten dreht sich zu einem Großteil um Arbeit und Geldverdienen, wobei sie einen signifikanten Anteil des Lohnes an Familienmitglieder in Rumänien senden.
Die untersuchte Gruppe stellt allerdings nur einen exemplarischen Fall dar, da mehrere Millionen Personen aus Osteuropa ihr Schicksal teilen. Letzten Endes scheint die Situation frustrierend und aussichtslos, wenn der Lebenssinn mehrerer Millionen Menschen darin besteht, die schlechte ökonomische Ausgangslage in der Heimat damit auszugleichen, ihre Familien zurückzulassen und die alte Heimat für den Großteil des Jahres aufzugeben, was letztlich zu instabilen Familienverhältnissen führt. Mittlerweile sind auf Grund des Fachkräftemangels ganze Wirtschaftssektoren in Deutschland von diesen Arbeitsmigranten , wobei insbesondere im Hoch- und Tiefbau heute knapp ein Drittel aller Beschäftigten aus dem Ausland stammen. Hinsichtlich der starken Abwanderung und der geringen Geburtenrate in Rumänien wird diese Problematik langfristig auch den rumänischen Arbeitsmarkt negativ beeinflussen. Hier zeigt sich ein dringlicher Handlungsbedarf bei allen beteiligten Ländern und ein globales Umdenken im Hinblick auf Arbeit zur Sicherung der eigenen Existenz. Hier kann man dem amerikanischen Philosophen Elbert Hubbard zustimmen, wenn er sagt:
„We work to become, not to acquire.“ – Elbert Hubbard