Geschichtlicher Hintergrund: Die Bosnienkriege von 1992-1995
Geschichte stellt in Bosnien und Herzegowina ein sensibles Thema dar, welches von der Politik oft aufgegriffen wird, um aktuelle Maßnahmen der eigenen Eliten zu rechtfertigen. So merkt auch Monika Palmberger über den Geschichtsunterricht in Schulen und Universitäten an: „During lectures on the history of Bosnia and Herzegovina and Croatia at the universities, I witnessed the effort to rewrite history after the fall of Yugoslavia. It was common to teach history in a positivistic way, teaching so-called historical facts whereby professors claimed the authority over the interpretation of history” (Palmberger 2019, S. 108). Die nationalistischen Parteien in Mostar haben den Bildungsbereich seit dem Ende des Vielvölkerstaats für die Institutionalisierung der ethnischen Teilung genutzt. Geschichtliche Narrative über Kriege der Vergangenheit, den Zweiten Weltkrieg und den Bosnienkrieg von 1992-95 dominieren das Miteinander der ethnischen Gruppen. Der Tod Titos und der Zerfall des Vielvölkerstaates führten zu einem Anstieg von national-ethnischen Gedankengut, welche das Misstrauen zwischen den Ethnien schnürte und zum Ausbruch des Bosnienkriegs im Jahre 1992 führte.
Für Bewohner bedeutet diese Zeit das Erleiden zweier fürchterlicher Kriege. Zunächst brach der Konflikt zwischen der serbisch dominierten Jugoslawischen Volksarmee (JNA) auf der einen Seite und dem Kroatischen Verteidigungsrat (HVO) und der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina (ARBiH) auf der anderen Seite aus (Palmberger 2016, S. 71). Unmittelbar nach dem Abzug und gemeinsamen Zurückdrängen der JNA aus dem Gebiet der heutigen Föderation Bosnien und Herzegowina brach ein Machtkampf zwischen den einstigen Verbündeten aus. Zusätzlich wurde am 3. Juli 1992 die „Republik Herzeq-Bosna“ ausgerufen mit der Hauptstadt Mostar, durch die in Bosnien und Herzegowina ein kleiner kroatischer Staat existieren und später von Kroatien annektiert werden sollte. Die daraufhin angespannte Beziehung der beiden Gruppen eskalierte am 9. Mai 1993. Der darauffolgende kroatisch-bosniakische Konflikt, bei dem auf beiden Seiten Kriegsverbrechen begangen wurden, konnte am 18. März 1994 durch das „Washingtoner Abkommen“ beendet werden. Die Bevölkerungszahl der Stadt Mostar betrug vor dem Bosnienkrieg 126.628 Einwohner, von denen 34,8% Bosnische Muslime, 33,8% Kroaten und 19% Serben waren. Nach dem Krieg lag sie bei 111.000 Bewohnern, die sich jeweils zur Hälfte aus Kroaten und Bosniaken zusammensetzten. Von den ursprünglichen 20.000 Serben blieben nur 2.000 in der Stadt (vgl. Palmberger 2016, S. 76f.).
Das Leben in der Stadt Mostar vor und nach dem Krieg
Wie bereits erwähnt verkörperte Mostar eine Stadt, die für ihr gutes interethnisches Zusammenleben bekannt war. Die Ethnie war für das Teilnehmen am öffentlichen Leben nicht entscheidend, so dass ein friedliches Miteinander vor dem Krieg Normalität darstellte. Der Austausch der verschiedenen Kulturen gehörte zum Alltag. Zusätzlich gab es auch eine jugoslawische Identität, die dem Vielvölkerstaat Jugoslawien einen gewissen Zusammenhalt bat und leider durch den Krieg größtenteils zerstört wurde. Dies bestätigt auch Monika Palmberger nach einem Gespräch mit einer Bewohnerin Mostars, die den Verlust des Austausches unter den Ethnien anprangert: „Names that for her were typically Bosnian did not sound familiar to her friends who were only a few years younger than her. This unfamiliarity also extends to socialist festivities, pre-war rock bands, and turcizmi (in the case of the Croat youth), which were all common in prewar Bosnia and Herzegovina” (Palmberger 2019, S. 108). Für viele Bewohner, die ohne ethnische und geographische Teilung aufgewachsen sind, ist das alte Mostar das Richtige. Sie empfinden den aktuellen Zustand der Stadt als künstlich und haben miterlebt, wie das Aufkommen von national-ethnischen Tendenzen zunehmend das interethnische Zusammenleben zerstörte. Diese Sichtweise unterscheidet sich stark von der Haltung mancher Jugendlicher. Der Grund dafür ist, dass sie mit nationalistischer Propaganda aufgewachsen sind. Das Opfernarrativ steht dabei im Mittelpunkt der Propaganda. So erzählt auch Monika Palmberger von einem Gespräch mit einem Geschichtslehrer, in dem er den Bosnienkrieg von 1992-95 als Höhepunkt der Erniedrigungen gegen das eigene Volk sah und auf weitere Gräueltaten in der Vergangenheit hinwies (vgl. Palmberger 2019, S. 108f.).
Mit solchen Narrativen, die das eigene Leid ins Zentrum der Interpretation stellen, wird versucht, die Teilung der Stadt zu festigen. Vor allem der Geschichtsunterricht bietet hierfür eine gute Möglichkeit, da Schüler früh mit den Narrativen vertraut gemacht werden. Dabei werden diese hauptsächlich genutzt, um das Misstrauen unter den ethnischen Gruppen zu erhalten. Die daraus resultierende ethnische Teilung zeigt sich auch in der Infrastruktur der Stadt: „The city had two mobile phone providers, two post offices, two electrical distribution companies, two public pension funds, two hospitals including two ambulance services, two bus companies and two main bus stations, two water and sewage companies, two companies for city cleaning and, of course, two football clubs” (Palmberger 2016, S. 80f.). Diesen Zustand akzeptieren jedoch längst nicht alle Jugendlichen der Stadt Mostar. Jedoch gibt es auch Jugendliche wie Marco, der sich persönlich von dem Vermächtnis des Krieges klar distanziert: „Because when my town [Mostar] was shelled, I was in Split. I went to excursion on islands. I went swimming. I didn´t feel the war, and later on when I came back to my community, I didn´t have anything against Muslims or Serbs. … Coexistence [suživot] is good, especially among young people of my age who didn´t feel the war a lot” (Palmberger 2019, S. 110). Insgesamt kann die These, dass jüngere Generationen die ethnische Trennung mehr verinnerlicht haben als ältere Generationen, nicht eindeutig bestätigt werden. Während ältere Menschen eine Erinnerung an das friedvolle Zusammenleben haben, können Jugendliche auf solche Erfahrungen nicht zurückgreifen. Viele dieser jungen Menschen sind mit der ethnischen und geographischen Teilung der Stadt aufgewachsen und spüren durch die gegebene Situation Mostars das Vermächtnis des Krieges. Trotzdem bleibt es eine individuelle Frage, wie Jugendliche mit der Erinnerungskultur umgehen. Manche nehmen die Spaltung als natürlich wahr, andere Menschen versuchen sich von dem Vermächtnis zu distanzieren.
Weiterführende Literatur:
Palmberger, Monika (2013) Practices of border crossing in post-war Bosnia and Herzegovina: the case of Mostar, Identities: Global Studies in Culture and Power.
Palmberger, Monika (2016), How Generations Remember, Conflicting Histories and Shared Memories in Post War Bosnia and Herzegovina, London.
Palmberger, Monika (2019), Between Past and Future: Young People´s Strategies for Living a “Normal Life” in Postwar Bosnia and Herzegovina. In David Montgomery (ed.). Everyday life in the Balkans. Bloomington.
Wüllenkemper, Cornelius, (2022), Mostar: Die Angst vor einer neuen Eskalation, in https://www.deutschlandfunk.de/mostar-bosnien-herzegowina-1995-serben-kroatenbosniaken-100.html, Zugriffsdatum 15.12.2023.