Serbiens Außenpolitik unter Aleksandar Vučić ist geprägt von dem Versuch, sowohl gute Beziehungen nach Russland als auch in die EU zu pflegen. Umgekehrt ist Serbien Russlands Hauptpartner auf dem Westbalkan. Die Auswirkungen dieser Politik zeigen sich nun auch im Zuge des Krieges in der Ukraine, Serbien verstärkte seine Beziehungen zu Russland obwohl es offiziell den Angriff auf die Ukraine verurteilte.
Diese pro-russischen Tendenzen sind in den Medien staatlichen Einflusses wiederzufinden. Besonders auffällig wird dies, vergleicht man die staatsnahen Zeitungen mit einer der wenigen unabhängigen print-Erzeugnisse. Während beispielsweise der Informer Vučićs Außenpolitik positiv darstellt, da es Serbien ohne Sanktionen gegen Russland besser gehe als der EU, analysiert die unabhängige Vreme, inwiefern Serbien die Auswirkungen der Sanktionen nicht verhindern konnte.
Nun gibt es in Serbien keine Zensoren, die jeden Artikel sämtlicher Presseorgane vor Veröffentlichung kontrollieren. Die staatliche Einflussnahme funktioniert anders, sie ist moderner. Wie diese abläuft war eines der Hauptthemen eines ausführlichen Gespräches mit der Redaktion der Vreme. Die Erfahrungsberichte von Betroffenen vor Ort bestätigen sich auch durch eine systematische Gegenüberstellung einer ihrer Ausgaben mit einem Exemplar des Informers aus demselben Zeitraum.
Die freie Presse gerät immer wieder in das Kreuzfeuer öffentlicher Diffamierungen, am schwersten trifft sie allerdings der ökonomische Druck. Die Regierung gibt nicht den Preis einer Ausgabe vor, nimmt aber über die Finanzierung durch Anzeigen direkten Einfluss darauf, welche Zeitung mehr und welche weniger kostet. Daraus folgen auch unterschiedliche Auflagen und Verbreitungen der jeweiligen Produkte. Ein Blick auf den Preis der Vreme zeigt, dass eine Ausgabe 350 RSD (2,98 Euro, Stand 04.07.2022) kostet. Der Informer ist für 40 RSD (0,34 Euro, Stand 04.07.2022) erhältlich. Die Vreme kostet damit fast das Zehnfache des Informers, der Griff zur regierungsnahen Zeitung an der Verkaufsstelle ist folglich um einiges günstiger.
Auswirkungen auf den Verkaufspreis hat direkt, inwiefern sich das Medium über Werbeanzeigen finanzieren kann. Die Redaktion der Vreme berichtete, dass Unternehmen politisch unter Druck gesetzt werden würden, keine Anzeigen in ihrer Zeitschrift zu schalten. Als Folge habe es sonst mit Verleumdungen und dem Verlust von Staatsaufträgen zu rechnen. Zugleich schalten Unternehmen in staatlicher Hand gezielt bei regierungsfreundlichen Medien Werbeanzeigen und fördern so eine bestimmte Art der Berichterstattung. Auch der Staat verwendet etwa 25 Prozent seines Werbebudgets für Ausgaben im Mediensektor.
Ein Blick auf die Werbeanzeigen bei Vreme und Informer bestätigen dies. Während die Ausgabe der Vreme vier Werbeanzeigen beinhaltet, unter anderem für ein Buch und ein Musikfestival, sind im Informer sieben Anzeigen, die deutlich als solche erkennbar sind, zu finden. Im Informer fallen dabei vor allem die Annoncen des staatlichen Fernsehsenders rts und der telekom srbija, die Aktienmehrheit liegt bei der Republik Serbien, auf. Der Informer ist also nicht nur in der Lage, fast doppelt so viele Anzeigen zu schalten, im Gegensatz zur Vreme fließen auch direkt Gelder aus staatlichen Betrieben in die Hände der staatsnahen Zeitung.
Sichtbar wird die ökonomische staatliche Einflussnahme in den Inhalten der Zeitungen. Die Redaktion der Vreme erläuterte, dass es einen Medienplan der Regierung gäbe. Die regierungsnahen Boulevardzeitungen würden in vorauseilendem Gehorsam darum konkurrieren, wer diesem am radikalsten entsprechen könne. Dabei folge man zwei Prinzipien, zum einen ginge es darum Vučić zu loben, zum anderen soll der politische Gegner verleumdet werden. Ein Blick auf die Titelseiten zeigt, dass die Zeitung mit Werbeanzeigen von Staatskonzernen dieser Medienstrategie entspricht. Das Magazin ohne solche Annoncen ist auch jenes, das einen kritischen Blick auf die Regierungspolitik wagt.
Das Titelblatt der Vreme ist schlicht gehalten. Darauf sind ein Foto und der Schriftzug des Magazins zu sehen, es wird ergänzt durch eine große Schlagzeile und zwei weit kleinere Überschriften am oberen Rand. In der Schlagzeile heißt es: „Interview: Dejan Jović. Serbien steht bereits unter einer Art EU-Sanktion“.
Der Informer weist im Vergleich eine vollere Titelseite auf. Es gibt fünf klar erkennbare Schlagzeilen und fünf Fotos. Sie alle entsprechen mit reißerischen Überschriften einer klaren politischen Meinungsmache. Europa, Migranten und Kroaten werden als Feindbilder bestimmt, dem werden Vučić und Putin auf einer Ebene entgegengestellt. Die größte Überschrift lautet: „Schreckliche Ustascha-Hirnkrankheit: Kroaten fordern jetzt den Tod von Vučić und Putin. Vučić hätte keine andere Wahl, als sich ein Seil zu nehmen und sich zu erhängen! Seine einzige Hoffnung sei, dass Putin sehr bald sterben werde, schreibt die kroatische Zeitung ‚7 dnevno‘“.
Unter der Regentschaft von Vučić wird also mittels Werbeanzeigen gezielt eine regierungsnahe Berichterstattung gefördert. Die freie Presse hingegen gerät durch gezielte Einschüchterungsversuche unter ökonomischen Druck. Diese politische Einflussnahme zeigt sich in Serbiens Titelseiten sowohl in der erkennbaren finanziellen Unterstützung als auch einer entsprechenden inhaltlichen Ausrichtung.
Weiterführende Literatur:
Castaldo, Antonino; Pinna, Alessandra. 2018. De-Europeanization in the Balkans. Media freedom in post-Milošević Serbia. European Politics and Society. Volume 19 Issue 3. 264-281
Stojarová, Věra. 2020. Media in the Western Balkans: who controls the past controls the future. Southeast European and Black Sea Studies. Volume 20 Issue 1. 161-181
BIRN. 03.05.2022. Media Freedom Remains Major Concern in Balkans, Watchdog Says. https://balkaninsight.com/2022/05/03/media-freedom-remains-major-concern-in-balkans-watchdog-says/. zuletzt aufgerufen am 28.09.2022.