Thrakien in der Geopolitik

von Kilian Rooney (Politikwissenschaft und Philosophie, Universität Regensburg) und Angelina Glatt (Russische Philologie und Südosteuropastudien, Universität Regensburg).

Fahrzeug des griechischen Militärs in Alexandroupolis.

The Thrace region, encompassing territories in Greece, Bulgaria, and Turkey, constitutes a geopolitically significant zone at the intersection of NATO, EU, and regional power interests. Greek Thrace, particularly the port city of Alexandroupolis, has emerged as a critical hub for NATO’s military logistics and European energy diversification, as indicated by heightened troop deployments and the establishment of LNG infrastructure. In Bulgarian Thrace, enduring Russian influence manifests through media narratives and political movements, raising concerns about external interference. Turkish Thrace reflects persistent security tensions along the Greek-Turkish border. Despite shared NATO membership, the region remains marked by historical antagonisms and strategic rivalries.

Yunanistan, Bulgaristan ve Türkiye'deki toprakları kapsayan Trakya bölgesi, NATO, AB ve bölgesel güçlerin çıkarlarının kesiştiği jeopolitik açıdan önemli bir bölge oluşturmaktadır. Yunan Trakya'sı, özellikle de liman kenti Alexandroupolis, artan asker konuşlandırmaları ve LNG altyapısının kurulmasıyla da belirtildiği gibi, NATO'nun askeri lojistiği ve Avrupa'nın enerji çeşitliliği için kritik bir merkez haline gelmiştir. Bulgaristan'ın Trakya bölgesinde, Rusların kalıcı etkisi medya söylemleri ve siyasi hareketler aracılığıyla kendini göstermekte ve dış müdahaleye ilişkin endişeleri artırmaktadır. Türkiye'nin Trakya bölgesi, Yunanistan-Türkiye sınırında süregelen güvenlik gerilimlerini yansıtmaktadır. NATO üyeliği ortak olmasına rağmen, bölge tarihsel düşmanlıklar ve stratejik rekabetlerle damgalanmaya devam etmektedir.

Im griechischen Teil Thrakiens sticht die geopolitische Relevanz der Region besonders ins Auge. Bereits kurz vor den Toren unserer ersten Station Alexandroupolis passierte unser Reisebus eine große Kaserne des griechischen Militärs. Die Gründe für die hohe Militärpräsenz in der Stadt und Umgebung ergeben sich einerseits aus der Grenznähe zur Türkei und andererseits aus dem für die NATO strategisch wichtigen Hafen.

Im Gespräch mit einem Infanteriesoldaten gab dieser zu wissen, dass die Hauptaufgabe der stationierten Truppen der Grenzschutz sei. Zur strategischen Relevanz des örtlichen Hafens für die NATO wollte er sich jedoch nicht äußern.

Abbildung 1: Griechische Soldaten in Komotini

Auch ein Besuch bei der Hafenbehörde von Alexandroupolis konnte diesbezüglich nicht für mehr Aufklärung sorgen. Der Mitarbeiter vor Ort reagierte grundsätzlich sehr vorsichtig auf unsere Fragen und fragte uns mehrmals nach unseren Beweggründen. Letztendlich verwies er uns auf die behördliche E-Mail-adresse. Bis heute blieben unsere Anfragen jedoch auch dort unbeantwortet. Über Medienberichte, zum Beispiel der New York Times, erfährt man, was die Gründe für dieses Schweigen sein könnten. Seit Februar 2022 stellt der Hafen einen zentralen Punkt in der Supply Chain für Militärhilfe zur Ukraine dar. Somit kann der Bosporus umgangen werden, die türkische Meerenge, welche seit 2022 für Waffentransporte geschlossen ist. Des Weiteren wird über den Hafen die Ostflanke der NATO verstärkt. Soldaten, gepanzerte Fahrzeuge und Panzer werden in Alexandroupoli entladen und von dort ins Baltikum verlagert.[1]

[1] vgl. New York Times (18. August 2022). Sleepy Greek Port Becomes U.S. Arms Hub, as Ukraine War Reshapes Region.

Abbildung 2: Fahrzeug des griechischen Militärs in Alexandroupolis

Doch diese geopolitischen Realitäten wirken nicht nur abstrakt auf Karten und in internationalen Beziehungen, sondern materialisieren sich konkret im Alltag der Menschen in der Region – ein Aspekt, den das Konzept der embodied geopolitics beleuchtet.[2] So wird im Stadtbild von Alexandropoulis erkennbar, dass die hohe Präsenz der NATO nicht bei allen Bewohner:innen auf Zustimmung stößt. So säumen regelmäßig Anti-NATO-Graffitis die Hauswände der Stadt. Wenig überraschend wird diese Meinung auch von der bei neun Prozent stehenden Kommunistischen Partei Griechenlands geteilt, wie sich bei einem Treffen in Komotini herausstellte. Unsere Gesprächspartner:innen äußerten zudem die Sorge, dass die anhaltenden Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei durch die hohe Militärpräsenz auf beiden Seiten angeheizt würden.

[2] vgl. Dimopoulou et. al (2023). Embodied geopolitics and negotiations of belongings from Turkey to Athens after 2016. Political Geography, Volume 102.

Abbildung 3. „NATO RAUS!“- Graffiti in Alexandroupolis
Abbildung 4: Hafenbehörde von Alexandropoulis

Nicht nur aus militärstrategischer, sondern auch aus energiepolitischer Sicht stellt Thrakien und besonders Alexandroupolis einen zentralen Knotenpunkt dar. Dies wurde auch bei unserem persönlichen Besuch im dortigen Hafen deutlich.  So ankert dort aktuell ein LNG-Terminal, das als Ersatz zur Trans-Balkan-Pipeline dienen soll. Letztere hatte bis zum russischen Einmarsch 2022 Bulgarien, Griechenland und die anderen Balkanstaaten über die Ukraine mit Gas versorgt. Grundsätzlich verlaufen mehrere wichtige Erdgas- und Ölpipelines, die russisches und zentralasiatisches Erdgas nach Europa transportieren, durch die thrakische Ebene. Beispiele sind die „Turkish Stream“- Pipeline und die Trans-Adriatic- Pipeline (TAP), die den Energiefluss zwischen Asien, der Kaukasus-Region und Europa gewährleisten.

Abbildung 5: Der Konzern „gastrade“ betreibt das LNG-Terminal im Hafen von Alexandropoulis.

Der Ökonom Georgi Marinov von der Universität Varna ging im gemeinsamen Gespräch näher darauf ein. Bezüglich der Gaspipeline „Turk-Stream” erklärte er, dass diese das Ziel habe, über das Schwarze Meer, Zentraleuropa und die Balkanländer mit Gas zu versorgen und dabei die Ukraine als Kriegsgebiet zu umgehen. In der Türkei angekommen strömt das russische Gas über Bulgarien unter anderem weiter nach Serbien und Ungarn. Besonders der ungarische Präsident Orban betrachtet dies als willkommene Alternative zum ukrainischen Transit, was sich in dem erst kürzlich geschlossenen neuen Vertrag mit dem russischen Energiekonzern Gazprom verdeutlicht. Marinov äußerte sich darüber hinaus  zum Einfluss Russlands in Bulgarien und erläuterte, auf welche Weise dieser sichtbar wird.  Der Ökonom führte als Beispiel die Medien an, in denen häufig positive Berichterstattung über die russische Regierung verbreitet werde, was er auf finanzstarke russische Geldgeber zurückführt. Ein weiteres Beispiel sei die russische Anti-LGBTQ-Propaganda, die auch in bulgarischen Medien und der Politik zunehmend Einfluss gewinne. In diesem Zusammenhang verwies Marinov auf die pro-kremlnahe Partei „Vuzrazhdane“, die eine Namensliste von Lehrkräften veröffentlicht hatte, welche sich in einer Petition gegen ein nach russischem Vorbild eingeführtes Gesetz zur Verhinderung sogenannter LGBT+-Propaganda an Schulen ausgesprochen hatten. Diese Entwicklungen sieht Marinov als symptomatisch für die Beziehung zwischen Russland und Bulgarien, welche er mit dem Stockholm-Syndrom vergleicht.

Abbildung 6: Büro des Energiekonzerns „enaon“ im Hafen von Alexandroupolis

Zum Abschluss unserer Exkursion überquerten wir die EU-Grenze zur Türkei, mit dem Ziel, die zweite[3] Hauptstadt des Osmanischen Reiches, Edirne, zu besuchen. Bei Treffen im griechischen Konsulat und im örtlichen Balkaninstitut der Trakya-Universität wurde vor allem eines deutlich: die fortwährende Spannung zwischen den beiden Nachbarländern. Diese Begegnungen boten zudem eine neue retrospektive Betrachtung der bereits passierten, streng bewachten EU-Grenzanlage, die von einem kilometerlangen Zaun flankiert wird. Neben ihrer primären Funktion als EU-Außengrenze wird sie von lokalen Beobachtern insbesondere auch als  Barriere zwischen zwei Staaten gesehen, deren Beziehung durch eine konfliktreiche Historie geprägt ist. Die Implikationen zeigen sich auch auf der türkischen Seite in einer erhöhten Militärpräsenz.

Schlussendlich rückt im thrakischen   Grenzgebiet der Fakt, dass sowohl Griechenland als auch die Türkei Mitglieder der NATO und somit Bündnispartner sind, in den Hintergrund.

[3] Die erste Hauptstadt des Osmanischen Reichs war ab 1326 Prousa/Bursa, die zweite ab 1368 Adrianopel/Edirne, die dritte und letzte ab 1453 Konstantinopel/Istanbul.

Abbildung 7: gepanzertes Fahrzeug des türkischen Militärs vor der ``Trakya Üniversite`` in Edirne; Symbolbild für die hohe Militärpräsenz in Thrakien
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