Iman: Dieser Oktober markiert den zweiten Jahrestag meiner Ankunft in Deutschland. Ich erinnere mich noch genau an den ersten Tag in München Flughafen. An die Aufregung, die Vorfreude und all die Erwartungen an das, was vor mir lag. Ich war gekommen, um mir eine bessere Zukunft aufzubauen, um mich selbst zu finden und meinen eigenen Lebensweg zu gehen.
Natürlich hatte ich Angst, aber die Neugier und das Gefühl, endlich dort zu sein, wo ich immer hinwollte, waren stärker. Meine Erziehung und Bildung in Kosova hatten mich darauf vorbereitet, unabhängig zu sein, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich hatte in Kosova bereits vieles aufgebaut, doch mir war klar, dass mein Weg dort nicht endete. In Deutschland wollte ich das, was ich begonnen hatte, fortführen und weiterentwickeln.
Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde. Doch der Gedanke, dass dies mein Traum war, gab mir die Kraft, Schwierigkeiten zu überstehen und weiterzumachen.
Das erste, was mir in Deutschland auffiel, war die Einsamkeit: Ich kannte niemanden, die Stadt war mir fremd, und selbst der Campus wirkte anfangs wie ein Labyrinth. Die Hörsaalnummern erinnerten mich eher an geheime Codes als an Wegweiser.
Als ich mich schließlich zurechtfand, bemerkte ich eine andere Hürde, die Sprache. Ich verstand zwar Deutsch, aber in Regensburg wird zudem bairischer Dialekt gesprochen. Was für mich anfangs sehr stressig war, weil ich nur die Standardsprache kannte. Spoiler-Alert: Mit der Zeit wird alles Leichter, man braucht nur Geduld.
Dann kam das nächste Problem: die Finanzierung von Studium und Lebensunterhalt. Auch das war eine Belastung, aber ich suchte so schnell wie möglich nach Lösungen – und fand sie. Nach und nach lernte ich viele neue Menschen kennen, unter ihnen internationale Studierende und auch einige Albaner:innen. Ich begann, mich zurechtzufinden, Gesichter zu erkennen, Orte wiederzuerkennen, der Alltag bekam Struktur.
Tagsüber fühlte ich mich sicher, aber nachts war das anders.
Ende 2023 gab es eine Nachricht, die mich sehr beunruhigte: Eine Frau war in der Nähe des Busbahnhofs in Regensburg vergewaltigt worden – ein Ort, an dem ich fast täglich vorbeikam. Im Zug begegnete man manchmal Männern, deren Blicke unangenehm aufdringlich waren. Wenn ich spät abends den Zug nehmen musste, tat ich so, als würde ich telefonieren oder schrieb jemandem, nur um mich sicherer zu fühlen.
In dieser Zeit kaufte ich mir ein Pfefferspray, zum Glück musste ich es nie benutzen. Ich besuchte auch Selbstverteidigungskurse, in denen ich lernte, dass selbst ein lauter Schrei eine mächtige Waffe sein kann. Trotzdem blieb die Angst besonders, wenn ich nachts auf unbeleuchteten Straßen unterwegs war. Diese Unsicherheit begleitete mich, in Kosova wie in Deutschland.
Ich weiß nicht, ob es ein „Fluch des Frauseins“ ist, dass man nie genau weiß, wann man sich zu hundert Prozent sicher fühlen darf, wenn man allein unterwegs ist. Aber eines weiß ich: Heute fühle ich mich stärker, selbstbewusster und fähiger, mich zu verteidigen. Und ich bin sicher, dass viele Frauen mich verstehen werden, wenn ich sage: Das Gefühl, nachts einfach unbeschwert joggen zu gehen, ist für uns leider noch immer ein ferner Traum.